Gut 1 Jahr ist es her, dass unsere WertPlus-Digital-Partnerin Ellaine Grotjohann (EG) ein Interview gegeben hat, in dem es um zukünftige Trends und Herausforderungen fürs Coaching ging. Schon damals sah sie die fortschreitende Digitalisierung, das
Generationenmanagement und agile Methoden als nahe Zukunftsthemen für Coaches an. Kein Wunder also, dass wir heute gemeinsam die Digitale Transformation in Unternehmen unterstützen.
Hier findest du das Transkript des Interviews, welches Carlo Jaiser (CJ), seinerzeit Werksstudent bei Karriereservice.de , im Februar 2020 mit ihr geführt hat:
CJ: Vielen Dank, dass wir das Interview durchführen können. Es geht um das Thema
„Coaching in der Personalentwicklung – Welche Trends und Herausforderungen prägen Coaching in der Zukunft?“. Meine Einstiegsfrage wäre: Warum oder auch wie hast du dich dazu entschieden, Coach zu werden und welche Motivation gab es dazu?
EG: Ich habe zuletzt angestellt bei einer Personalberatung gearbeitet. Wir haben dort im Projektmanagement Recruiting-Prozesse in Unternehmen implementiert, betreut und
optimiert. Dort haben wir also im Bereich Recruiting gearbeitet und viele Coaching- und Interviewtechniken gelernt. Wir haben EMEA-weit 3500 Mitarbeiter für Unternehmen eingestellt. Es ging von der Stellenausschreibung über die Arbeit mit dem Fachbereich bis hin zu den Interviews und der Einstellung. Da habe ich gemerkt, wie Unternehmen ticken und was sie vom Bewerber benötigen.
Wenn man so viele Menschen einstellt, gerät man sehr schnell in Versuchung, die Bewerber nur noch als Nummern zu sehen und das hat mir am Ende gar nicht mehr gefallen. Ich wollte viel lieber direkter mit dem Bewerber arbeiten und deswegen habe ich dann die Seite gewechselt und mich selbstständig gemacht. Ich wollte lieber auf der andere Seite sitzen und
den Bewerber unterstützen: Wie er sich in einem Unternehmen vorstellen kann, um den Job dann zu bekommen. Und ob es auch passt! Das ist ja immer die größte Frage: passt der Bewerber zum Unternehmen und umgekehrt auch.
Bei den ersten Anfragen, die ich bekommen habe, habe ich sehr schnell gemerkt, dass es einen Grund gibt, warum sich Menschen umbewerben.
Klar, um sich sich weiterzuentwickeln, aber auch, und das sind die Themen, die ich immer interessant fand, wegen Mobbing, Depressionen, Burnout oder auch Boreout.
Ich habe gemerkt, dass ich methodisch ganz anders arbeiten muss. Es reicht nicht, den Menschen dabei zu helfen, Interviewleitfäden zu „stricken“ oder Bewerbungen zu schreiben. Ich habe noch eine psychotherapeutische Ausbildung gemacht und so bin ich nach und nach ins Coaching gewachsen.
Heute geht es vermehrt darum, wie ich die Menschen in ihren Jobs unterstützen kann, und sie dann dabei auch glücklich werden. Das war meine Motivation, um auf die andere Seite zu gehen und ganz individuell zu helfen.
Vom Bewerbungscoaching zum Jobcoaching
CJ: Wie lange arbeitest du schon als Coach und welche Bereiche hast du für dich, die du individuell als Coach abdeckst?
EG: Ich bin jetzt seit 10 Jahren selbstständiger Coach und es hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Ich bin weg von dem Bewerbermanagement oder Bewerbungscoaching, mehr hin zum Jobcoaching. Dadurch, dass ich so ein starkes Netzwerk mit Selbstständigen habe, speziell mit Frauen, die sich selbstständig machen wollen, ist es nun viel auch Gründungsberatung und Jobcoaching in der Praxis. Eine klassische Anfrage ist z.B.: Eine Klientin, die sich selbstständig gemacht hat und dann auf einmal sehr schnell gewachsen ist, kommt auf mich zu. Auf einmal hat sie 10 Mitarbeiter und sich in der Rolle der Geschäftsführerin und der Teamleiterin finden müssen. Sie begleite ich dann in dieser Jobsituation.
Coaching im Unternehmenskontext
Oder, und das war gar nicht so mein Ziel, dass ich jetzt zum Beispiel in einem Unternehmen die Teamleiterebene coache und schaue, wie ich jeden einzelnen in dieser Sandwichposition im Management unterstützen kann. Das ist quasi mein Steckenpferd: Ich bin aus der Praxis gekommen und arbeite sehr stark praxisorientiert. Wir sprechen im One-to-One, in der Theorie, und schauen dann, wie man es in der Praxis umsetzen könnte. Ich betreue jeden einzelnen auch in der Praxis und nicht nur „unter vier Augen“ in einem Coaching-Raum.
CJ: Am Anfang hast du dich auf das Thema Interviews, Bewerbungen spezialisiert und das ging dann immer mehr in die Richtung Führungs-Coaching und auch im Ganzen in die Richtung, dass du ein ganzes Unternehmen gecoacht hast und geguckt hast, wer in welcher Ebene braucht wo noch Unterstützung?
EG: Genau. Da bin ich jetzt tatsächlich gelandet. Mir geht es wirklich um jeden einzelnen individuell, welches Thema auf der Jobebene bringt derjenige mit. Es hat sich ergeben, dass ich jetzt ganze Level sozusagen betreue. Erst die Teamleiter und dann betreue ich die Bereichsleiter, denn es hat ja immer auch mit dem Zusammenspiel innerhalb eines Systems zu tun.
CJ: Das heißt das wäre jetzt quasi auch so ein Gebiet, was du als nächstes erschließen möchtest?
EG: Ja, definitiv.
CJ: Fallen dir dazu noch weitere Gebiete ein oder weitere Themen, die du auch spannend findest, die du auch gerne mal bearbeiten möchtest?
Neue Coaching-Themen durch Digitalisierung
EG: Tatsächlich befasse ich mich jetzt mit neuen Technologien. Also ich persönlich hab keine Ahnung von neuen Technologien, aber ich denke, dass die Digitalisierung mit uns Coaches auch viel machen wird. Insofern dass sich die Belange, die Sorgen und die Themen von Klienten verändern werden.
In naher Zukunft, und da denke ich nicht an 10 Jahre, sondern eher an 2, 4 oder 5 Jahre, wird eine neue oder eine andere Nachfrage entstehen ; Themen, die Klienten/Coachees anbringen. Wenn sie zum Beispiel aufgrund der Digitalisierung ihren Job verlieren oder sich so umorientieren müssen, weil sie, z.B. als Buchhalter nicht mehr ihren Job ausführen müssen. Im Personalwesen ist es genauso. Es werden jetzt Menschen eingestellt im Recruiting aufgrund von computergestützten Programmen. Oder bei Kreditvergabe bei Banken. Das muss vielleicht gar nicht mehr ein Herr von meiner Hausbank sein, das kann vielleicht online passieren und durch einen Computer entschieden werden. Und dann gibt es, einen anderen Bedarf ans Coaching.
Ich glaube, das wird nochmal eine Herausforderung für uns Coaches. Dass wir anders denken müssen, dass wir vielleicht methodisch nochmal anders arbeiten müssen und dass wir auch überlegen müssen, ob sich der Wert der Arbeit ändern wird. Also wenn viel von Computern übernommen werden kann, die Digitalisierung immer stärker und schneller voranschreitet, ist vielleicht die Arbeit vom Menschen nicht mehr so wertvoll und der Mensch kann sich auf andere Dinge konzentrieren. Damit beschäftige ich mich gerade.
CJ: Von mir wäre jetzt die Frage ob der Coaching-Markt in Zukunft expandiert, stagniert oder zurückgeht?
EG: Er wird weiterwachsen, denke ich schon.
CJ: Welche neuen Bereiche werden vielleicht fürs Coaching entstehen? Du hast jetzt schon das Stichwort Digitalisierung angesprochen. Fallen dir dazu noch weitere Themen ein, die vielleicht in Zukunft noch relevanter werden fürs Coaching?
Generationenmanagement und Coaching
EG: Ich glaube, aufgrund der unterschiedlichen Generationen, die aufeinanderprallen innerhalb eines Unternehmens, dass jetzt 25-jährige Führungskräfte, die mit 45-jährigen und 65-jährigen zusammenarbeiten, dass die Generationen aufeinanderprallen und dadurch ganz viele Wertekonflikte entstehen.
Jede Generation muss sich mit den unterschiedlichen Werten auseinandersetzen. Das heißt, dass Wertecoaching sehr wichtig ist. Jeder Mensch muss jeweils auf die Werte des anderen eingehen, damit ein Zusammenspiel, eine Zusammenarbeit in einem großen Unternehmen oder überhaupt in einem Unternehmen möglich ist. Darum ist es wichtig zu wissen: welche Werte bringen die jungen Menschen von heute mit? Wie kann ich mit meinen Werten als alter Mensch in diesem Moment auf diese eingehen und umgekehrt auch. Also sprich: Wertedenken, Wertecoaching, ja, das ist so ein Thema, dass ich auch jetzt schon sehr oft betreue und begleite.
CJ: Das heißt, das würdest du sagen, wird auch zukünftig immer mehr? Vielleicht auch mit steigendem Renteneintrittsalter, wenn man länger in einem Unternehmen arbeitet und die Altersunterschiede immer größer werden?
EG: Ja, die Altersunterschiede werden natürlich größer und allein du und ich, wir haben ja allein 20 Jahre Unterschied, da sind schon Unterschiede in der Wertehaltung, im Werteempfinden und die prallen dann im Alltag aufeinander. So empfinde ich es aktuell und ich denke, es wirkt in Kombination mit der Digitalisierung, denn da werden eben auch andere Werte sichtbar. Wert der Arbeit, wie ich es eben schon gesagt habe. Jeder hat ein anderes Bild von Arbeit, du genauso wie ich und da prallen mit der Digitalisierung noch mehr Interessenskonflikte aufeinander.
Agiles Coaching für die Zukunft
CJ: Welche Methoden, die du jetzt vielleicht noch nicht verwendest, aber zukünftig einbauen möchtest, können für das Coaching interessant werden?
EG: Ich schätze sehr dieses „systemische Aufstellen“ – die Aufstellungsarbeit.
Und „agiles Coaching“ finde ich sehr interessant. Wenn mich jemand fragt, welche Coachingausbildung er oder sie machen sollte, würde ich immer auf agiles Coaching hinweisen. Also Unternehmen innerhalb eines Prozesses zu begleiten, ohne ein gewisses Ziel schon vor Augen zu haben und agil und flexibel zu reagieren. Ich denke, das könnte zum Beispiel eine Zukunftsweise sein.
CJ: Also Coaching als Begleitprozess und nicht zielorientiert, sondern eher mitlaufend?
EG: Genau, als Sparringspartner, weil sich viele Unternehmen innerhalb kürzester Zeit immer wieder umorientieren müssen. Und das ist ja ein feststehender Begriff, agiles Coaching. Kommt aus der Informatik und das finde ich höchst interessant, das würde ich wirklich empfehlen, da mal einen Blick drauf zu werfen. Ich glaube, dass man in Zukunft noch agiler, noch flexibler reagieren muss.
CJ: Genau, dann würde ich sagen, gehen wir ein bisschen weg von dem Bereich und hin zu den Klienten, die du betreust. Wenn du jetzt mal überlegst, als du angefangen hast zu coachen, was waren die Anforderungen. Gibt es vielleicht auch einen Vergleich zu den Klienten, die du heute hast. Bei dir ist jetzt ein bisschen der Wandel in dem Bereich, aber vielleicht kannst du trotzdem ein bisschen reflektieren, ob du da eine Tendenz erkennst, wie sich die Klienten verändert haben und was sie mitbringen.
Anforderungen ans Coaching verändern sich
EG: Am Anfang sind Coachees auf mich zugekommen, die sich ganz klar umbewerben mussten oder wollten und hatten eher ein gesundheitliches Thema, eben Mobbing, Depressionen und Burnout. Also aus der Not heraus. Wenn ältere Coachees, also damit meine ich jetzt älter als ich, auf mich zugekommen sind, so mit 50, die dann, nach einer langen Arbeitszeit, sich umorientieren möchten, weil sie sagen, „ich möchte das jetzt nicht noch 10 Jahre machen“ oder sie sind erkrankt, das ist so die Thematik dahinter.
Was mich allerdings freut: so seit ungefähr 6/7 Jahren kommen immer mehr jüngere Menschen auf mich zu, die quasi die Vorbilder schon gesehen haben, was an Krankheiten auf sie zukommen könnte, Stress und Mobbing und Burnout. Und die, die sich vorher schon mit dem Thema auseinandergesetzt haben und auf gar keinen Fall in diese Falle tappen wollen.
In diesem großen Bereich „Prävention“ kommen dann sehr viele junge Menschen auf mich zu. Die gerade die ersten 2 Jahre Arbeitserfahrung haben und sagen: „nein, das möchte ich nicht mein ganzes Leben lang machen“. Es kommt ein Umbruch, und das freut mich unheimlich, dass junge Menschen schon sagen: „In diese Falle möchte ich nicht hineintappen!“ „Ich möchte nicht das gleiche erleben wie meine Eltern“, „Ich möchte das tun was ich möchte und das auch mit einem ganz anderen Werteverständnis“. Dass ich als junger Mensch heutzutage viel mehr an Work-Life-Balance denke und gar nicht mehr diesen Wunsch nach einer bestimmten Lebensqualität habe. Also Lebensqualität ja, aber nicht monetär, dass sie nicht diesen Karriereweg gehen und auf alles Mögliche verzichten wollen, sondern ihre Werte woanders sind und ihre Wünsche, was das Arbeitsleben angeht.
CJ: Das heißt eine Tendenz wäre zum Beispiel, dass auch schon jüngere Menschen sich auf ein Coaching einlassen und diesem etwas abgewinnen können?
EG: Genau, prophylaktisch sozusagen.
CJ: Dann die Coachingprobleme, ich weiß jetzt nicht genau wie das bei dir ist, wirst du wegen einem konkreten Problem beauftragt oder wirst du eher als Begleitung sozusagen dazugeholt, dass du die Person oder das Unternehmen begleitest? Und wenn das auch bei akuten Problemen ist, wie jetzt beispielsweise mit dem Thema Bewerbung, das wäre jetzt eine akute Sache, würdest du da vielleicht auch eine Entwicklung bei den Problemen feststellen?
EG: Ja ich glaube das jüngere Menschen viel früher eine Betreuung oder eine Begleitung einschalten und nicht erst, wenn sie schon einen Leidensweg hinter sich haben. Was sehr positiv ist. Wenn man schon seit 10 Jahren unglücklich in seinem Job ist, ist es sehr schwer, da wieder rauszukommen. Oder wenn man schon 2 Kinder und ein Haus hat, dann ist es sehr schwer rauszukommen. Ich habe das Gefühl, dass sowohl Einzelklienten, wenn sie jünger sind, früher an mich herantreten und gleichzeitig auch Unternehmen. Leider nicht oder keine alteingesessenen Konzerne, sondern Unternehmen, die früh mitdenken und früh investieren möchten, bevor es noch schwieriger wird. Dennoch ist ja schon überall immer eine Thematik vorhanden, denn sonst würde man ja nicht einen Coach bestellen.
CJ: Also, dass früher ein Coach eingeschaltet wird, und nicht wenn das Feuer schon brennt, dass es gar nicht erst ausbricht?
EG: Genau, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Und da ist meine Erfahrung tatsächlich, dass es dann auch einfacher zu lösen ist, da bleiben Coachees dann 2, 3 Sitzungen und kommen dann in einem halben Jahr nochmal und müssen nicht 10 Sitzungen bei mir „absitzen“, und wir kommen nicht voran, weil Verhaltensmuster schon so drin sind und die Bereitschaft, auch etwas zu ändern, sehr gering ist. Das ist eigentlich eine sehr schöne und positive Entwicklung, zumindest was meine Coachees angeht.
CJ: Wie wird sich das in Zukunft noch weiter verändern? Würdest du vorausschauend in die Zukunft sagen, dass das noch weiter in die Richtung geht, dass man früher den Bedarf erkennt und agiert oder was würdest du so schätzen?
EG: Bei mir ist das so: Ich lebe nur von Weiterempfehlungen. Und natürlich gibt es Empfehlungen dann in einem ähnlichen Bekanntenkreis, deswegen habe ich jetzt eben viele jüngere Führungskräfte als Coachees, aufgrund der Empfehlungen, aber, was ich vorhin schon meinte, wenn die Digitalisierung dafür sorgt, dass viele Arbeitsplätze verloren gehen oder zumindest Aufgaben sich verschieben, kommen dann eher wieder Ältere auf Coaches zu, die eben schon 20 Jahre als Kreditberater in der Bank arbeiten oder als Buchhalter oder auch als Personalfachleute. Die dann schon Jahre hinter sich haben, 5 oder 10 oder 15 Jahre. Dann kann es sein, dass diese Unterstützung benötigen. Dann sind es wieder andere Altersgruppen. Das kann ich mir schon vorstellen, dass beides auf einen zukommt.
CJ: Damit wäre ich mit meinen Fragen soweit durch. Nochmal vielen Dank für die Zeit!
Du möchtest mehr über die Möglichkeiten erfahren, bei welchen Themen und wie du Coaching in deinem Unternehmen einsetzen kannst oder wie wir dich rund um die Themen Digitale Transformation und Generationenmanagement unterstützen können? Dann buche dir hier gerne ein kurzes Zeitfenster für einen persönlichen Austausch über https://meetings.hubspot.com/kontakt17!
Infos zu den Interviewpartnern:
Carlo Jaiser
Ellaine Grotjohann, Diplom-Kauffrau (FH)
Projektmanagerin und Coach
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